„Was lange währt, wird endlich gut!“, sagt man. In Beziehungsdingen habe ich das Gegenteil gelebt, wenn auch nicht bewusst.
Dass es nicht förderlich ist, wenn man es überstürzt und sich zu schnell auf eine andere Person einlässt, haben wir sicher alle schon einmal erfahren. „Hochmut kommt vor dem Fall“ — je schneller man sich in eine Beziehung stürzt, umso schneller ist sie wieder vorbei. Zugegeben, man sollte das nicht pauschalisieren, aber ich gehe mal davon aus, dass eine Beziehung, die man aus einer gesunden Mischung von Liebe und Vernunft beginng, länger hält.
Doch jede Beziehung beginnt anders. Manche entstehen aus einem abendlichen Quickie in der Disko oder nach einem gemütlichen Bierchen im Café, andere wiederum aus einer jahrelangen Freundschaft. Und nichts und niemand garantiert einem, dass es der oder die Richtige ist. Trotzdem ist es besser, den anderen zu kennen, bevor man es miteinander versucht. Man sollte es sich nicht vornehmen, den anderen in- und auswendig zu kennen, aber die grundlegenden Charaktereigenschaften, Lebenseinstellungen und Ziele sollte man austauschen.
„Früher“ (tut gut, das in meinem Alter schon sagen zu können) habe ich Gespräche geführt über Lieblingsessen, -getränk, -farbe, -jahreszeit und vieles mehr. Heute geht es mir viel mehr darum, den Charakter kennen zu lernen, die Stärken zu schätzen, aber auch die Schwächen zu tolerieren. Kein Mensch ist perfekt und es ist wichtig, dass man das einsieht.
„Wieso sollte ich dich ändern wollen? Ich will ja dich!“, bekam ich zu hören. Und es ist wahr. Jemand, der mich nicht so nimmt, wie ich bin, hat mich gar nicht verdient. Mag arrogant klingen, ist aber nicht so gemeint und sicher die beste Einstellung. Mit einem Haken: Man sollte sich selbst gut einschätzen können, die eigenen Stärken kennen, aber auch die Schwächen. Und an genau diesen gilt es zu arbeiten. Ich habe einige Zeit gebraucht, einzusehen, was ich an mir verändern sollte. Nicht für andere; sondern für mich, weil ich es will.
Ein Mensch ohne Schwächen ist langweilig, aber ein Mensch mit zu vielen Schwächen kommt auch bei niemandem gut an. Wie so oft bestimmt das gesunde Mittelmaß die Außenwirkung. Wer an sich selbst arbeitet, hat die besten Chancen. Wer sich selbst nicht liebt, kann auch nicht geliebt werden. Und wer an sich selbst nicht arbeitet, der sollte auch nicht an anderen meckern. Diese „Arbeit“ hört nicht einfach auf, Stillstand ist in diesem Falle Rückschritt.
Nun schweife ich ab, zurück zum Ursprung: Den Charakter des anderen kennen zu lernen, ist das wichtigste, wenn es darum geht, eine Beziehung aufzubauen. Nicht vergessen sollte man grundlegende wichtige Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit, Aufrichtigkeit, Treue, Vertrauen. Dem Partner blind vertrauen zu können, ihm wirklich alles zu glauben und zu merken, dass er einem alles glaubt, weil man immer ehrlich zueinander war — auch wenn man Dinge hätte verschleiern können oder nicht so ausführlich hätte erzählen müssen — ist ein gutes Gefühl, das es gilt, zu erhalten.
Völliges Vertrauen wird aber auch nicht in ein paar Wochen aufgebaut. In jedem Fall außer dem der langjährigen Freundschaft (wo das Vertrauen ja meist schon da ist) braucht es Zeit, bis es entsteht. Da kann man auch nicht nach ein paar Wochen sagen „Das Vertrauen war einfach nicht da“.
Hallo,
das ist ein ganz toller Artikel, ich kann dir nur zustimmen. Ja, man sollte sich selbst richtig einschätzen können, insbesondere seine Schwächen kennen. So weit, so gut – aber es ist oft verdammt schwer, an diesen eigenen Schwächen zu arbeiten. Oft genug ertappe ich mich dann, dass ich mir sage, sollen doch die anderen einfach meine Schwächen akzeptieren. Aber je mehr ich an den eigenen Schwächen arbeite, je mehr kann ich mich auch selbst akzeptieren, mich selbst lieben. Und: „Wer sich selbst nicht liebt, kann auch nicht geliebt werden.“ – Genau!
DeSuse
Herrlich reflektiert, sehr schön! Insbesondere die Einsicht des „Nicht-Stillstands“.